Wollten Sie nicht immer schon einmalig ein Picasso-Unikat besitzen?
(wm/Bietigheim-B.) Sicherlich werden viele diese provokative Frage mit „Ja“ beantworten, allerdings auf ihr Portemonnaie verweisen, das ihnen keine zweistelligen Millionensummen fürs Hobby bereit stellt. Sechsstellig müsste die Zahl allerdings schon sein, die ein solches Unikat kostet, aber im Hunderttausender-Bereich. Denn für exakt 100 000 Euro wird Christoph Gärtner am 20. Juni 2015 in Bietigheim-Bissingen eine von Pablo Picasso selbst gezeichnete Ansichtskarte versteigern. Zur Provenienz teilte Gärtner im Katalog seiner Sonderauktion „Ansichtskarten“ vom 29. April 2015 mit:
„Es handelt sich um einen absolut seltenen Fund, eine Postkarte von Picasso mit einer echten Zeichnung an Guillaume Apollinaire, der zu den bedeutendsten Lyrikern der französischen Literatur gehört. Pablo Picasso schickte am 5.9.1918 einen Ansichtskartengruß mit dem Blick auf Pau, Les Pyrendes Basses, an seinen Freund und Dichter Guillaume Apollinaire nach Paris. Anstelle eines Textes versah er die Postkarte mit einer Zeichnung, die der kubistischen Serie „La nature morte“ zuzuordnen ist. Sie enthält Elemente wie ein Glas und eine Pfeife, die Picasso oft bei Portraits von Apollinaire verwendete hat. *1
Er signierte die Zeichnung und versah sie zusätzlich mit dem Titel „Sainte Apollinaire“. Am 12. September sollte nämlich ein Fest in Saint Apollinaire stattfinden, und er benutzte dies als Synonym, um seinen kranken Freund aufzuheitern und ihm gute Besserung zu wünschen. Die Karte wurde zwischen Bedous und Pau aufgegeben und sollte mit der Bahn befördert werden. *2 Leider hat die Karte Apollinaire nie erreicht. Sie wurde zurückgewiesen „REBUT“, da Picasso den Namen des Empfängers „Don Guillermo Apollinaire“ auf spanisch geschrieben hatte. Nur wenige Monate nachdem Picasso die Karte geschrieben hatte, erlag Apollinaire der Spanischen Grippe.
Ende September kehrte Picasso nach Paris zurück und erstellte sein Gemälde „huile et sek“, das heute im Salomon R. Guggenheim Museum in New York zu sehen ist. Die Komposition ist nahezu identisch mit der Zeichnung auf der Postkarte. Die Expertise des französischen Spezialisten Christian Riga, bestätigt die Echtheit dieses Picassos.
HINTERGRUNDINFORMATION
Picasso lernte Apollinaire 1905 kennen und führte ihn in die Kreise der Pariser Avantgarde-Maler ein. Von da an standen sie im künstlerischen Dialog und wurden enge Freunde. Sie unternahmen und überstanden vieles gemeinsam. Im Sommer 1911 wurden sie sogar verdächtigt, am Diebstahl des bekanntesten Gemäldes des Louvre, der Mona Lisa, beteiligt zu sein. Sie war am 21. August 1911 spurlos verschwunden, und beide gerieten in das Visier der Polizei durch den Besitz von iberischen Steinmasken, die über Gery Pieret – ein belgischer Abenteurer und zeitweise Angestellter Apollinaires – erworben worden waren. Nach einer Hausdurchsuchung wurde Apollinaire wegen Beherbergung eines Kriminellen und Verwahrung von Diebesgut verhaftet; er verriet nach zwei Tagen Picassos Beteiligung. Dieser wurde zwar verhört, aber nicht arretiert. Apollinaire wurde wenige Tage später aus der Haft entlassen und der Prozess gegen ihn im Januar 1912 aus Mangel an Beweisen eingestellt. Die Mona Lisa tauchte erst wieder am 13. Dezember 1913 in Florenz auf und kehrte am 1. Januar 1914 in den Louvre zurück.
Als Picasso im Juli 1918 in Paris Olga Kokhlova, die Primaballerina des „Ballets Russes“, heiratete, war Apollinaire einer der Trauzeugen.
*1 Jean-Piere Jouffroy und Edouard Ruiz beschrieben in ihrem Werk „Picasso de l’image ä la lettre“ (Temps Actuel, Paris, 1981) eine ähnliche Karte aus der Sammlung Baudot, die Picasso am 19. September 1918 an Apollinaire geschickt hatte. Die Zeichnung wird charakterisiert durch ein Glas und eine Pfeife an einem Bleistift in blauer Tinte. Die Objekte wurden sicher nicht zufällig gewählt. Das Glas könnte eine Anspielung auf das Werk „Alcool“, eines der beiden berühmtesten Gedichte Apollinaires sein. Picasso hat es öfter bei Portraits von Apollinaire verwendet und hat den Dichter fast immer mit einer Pfeife im Mund dargestellt. Die Zeichnung „La nature morte“ auf der Karte vom 5. September und vom 19. September verkörpert zwei Aspekte der kubistischen Phase Picassos von 1917–1919, die Andre Fermigier in seinem Buch „Picasso“ (Le livre de Poche) beschreibt. Er ist der Meinung, Picasso habe nie aufgehört, die Möglichkeiten des Kubismus zu hinterfragen und diese mit anderen Ausdrucksmitteln zu konfrontieren. Seine oft kleinformatige Werke seien experimentell und spannen den Bogen von floristischem Kubismus, der fast barock erscheint, zu einer Geometrie der eleganten Kargheit (siehe das Bild „ Nature morte“ mit Flasche und Vase, 1918) sowie das Gitarre, 1918
*2 Die französische Bezeichnung für diese Beförderungsart ist „Cachet des courriers-convoyeures-lignes“. Die Karte wurde mit einem Typ 3- Stempel versehen, der ab 1904 verwendet wurde.