Gezähnte Geschichte. Die Briefmarke als historische Quelle

(wm) Unter diesem Titel erschien unlängst eine mit über 500 Seiten sehr umfangreiche Dokumentation einer Tagung, die 2017 an der Universität Erfurt stattfand und von verschiedenen Wissenschaftlern unter Leitung von Pierre und René Smolarski sowie Silke Vetter-Schultheiß organisiert worden war. Ziel dieser Tagung war es, verschiedene wissenschaftliche Disziplinen mit der Philatelie zusammenzubringen, also philatelistische und universitäre Forschung zu verbinden. Die Ausgangsbasis war schwierig, denn – so heißt es auch auf dem Buchcover – den Status einer anerkannten Hilfswissenschaft der Geschichte hat die Philatelie nie erreicht. Der Wert der Briefmarke als historische Quelle blieb bis dato eher unerkannt, so dass die Tagung dies zu ändern beabsichtigte. Ob das Vorhaben gelungen ist, vermag dieser Dokumentationsband nicht zu belegen, wohl aber, dass zahlreiche Referenten sich mit über 20 einzelnen Themen daran versucht haben.

Interessant und lesenswert sind mehrere Studien, die sich mit den mehr oder weniger direkten, häufig bisher nicht so fokussierten Zusammenhängen zwischen Design und Thema von Briefmarken zu bestimmten Zeiten und der jeweiligen politischen Ideologie in Ost und West auseinandersetzten. Spätestens dann versteht man, dass Philatelie nie in einem luftleeren, sondern stets in einem politischen Raum sich vollzog und dabei nicht selten staats- und politiktragenden Mächten nahe, vielfach zu nahe kam. Sie wurde damit nicht nur zum Ausweis nationaler Symbolik, sondern zum Herrschaftsinstrument, zum Mittel der Propaganda, der mentalitäts- und kommunikationsgeschichtlich durchaus besondere Bedeutung zukam. Zu glauben oder anzunehmen, dass solche Motive Vergangenheit sind, gar nur früheren Politideologien zuzuschreiben sind, wäre ein Irrtum, wie zahlreiche Autoren resp. Referenten bei dieser Tagung verdeutlichten und mit ihren Studien auch an neueren Beispielen der deutschen Nachkriegsgeschichte belegten.

Das Buch ist ein wichtiges Buch, ein schwergewichtiges an Gehalt, allerdings auch ein nicht immer leicht zu Verdauendes. Es bedarf der Mühe des Lesens, des Eintauchens in eine für einen selbst vielleicht ungewohnte Welt, die einem dann allerdings wirklich neue Horizonte, sprich Blickwinkel und -weisen eröffnet. Dafür kann man den drei Herausgebern nur danken. Auch dafür, dass der Buchinhalt für Jedermann als Download frei als Open access-Publikation zur Verfügung steht. Im Vorwort heben die Herausgeber die Finanzierung des Buches durch die Unterstützung der Ernst-Abbé-Stiftung, die Stiftung zur Förderung der Philatelie und Postgeschichte sowie die Universitätsbibliothek Erfurt hervor und sprechen von einer guten Förderungslage. Wieso es dann allerdings notwendig war, einen Buchpreis von 90 Euro (!) für solch ein Werk anzusetzen, ist nicht ersichtlich und dürfte auch kaum der Verbreitung dieses durchaus wichtigen Werkes zuträglich sein. Wer genauer hinschaut, sieht im Vorspann die Bezeichnung „Band 1“, womit der Gedanke naheliegt, dass in einem weiteren Band – davon ist bereits die Rede – eine weitere Tagung dieser Art, die Mitte November 2018 in Berlin durchgeführt wurde, eine vergleichbare Dokumentation erfährt. Verdient hätte es auch diese.

Kurzdaten: Format DIN B5, 513 Seiten, zahlreiche Farbtafeln, Hardcover, hrsg. von V&R unipress, VP: 90 Euro. ISBN 978-3-8471-0937-2. Im Buchhandel erhältlich. www.Vandenhoeck-Ruprecht-Verlage.com