130 Jahre Wilhelm Sellschopp (2) – Eine Firma entwickelt sich!

(wm) Die neuere Firmengeschichte des Hamburger Unternehmens ist durch zwei weitere Namen geprägt: Ekke Fetköter und Klaus Burmeister. Fetköter (* 14. September 1936 – er starb am 23. Januar 2020) – trat im Mai 1962 in die Firma Sellschopp ein. Zehn Jahre später wurde er neben Rudolf Sellschopp Mitgesellschafter. Als dieser sich 1979 vom aktiven Geschäftsleben verabschiedete, übernahm Fetköter als alleiniger Gesellschafter das Geschäft und führte es bis 2001.

 

Ekke Fetköter (links) im Gespräch mit Ingeborg und Ruldolf Sellschopp. Vorlage: Klaus Burmeister

Klaus Burmeister ist quasi die „vierte Generation“ im 130jährigen Bestehen dieser Hamburger Firma. Bereits sein Großvater war Kunde des Hauses, später dann sein Vater und 1981 machte Burmeister sein Hobby zum Beruf. Zu dieser Zeit hatte das Unternehmen immerhin noch 30 Mitarbeiter, es blühte, wuchs und gedieh. Jährliche umfangreiche Preislisten wurden zum Markenzeichen. Allerdings ging die Veränderung des Marktes und der Rückgang der Sammlerzahlen nicht spurlos an der Firma vorbei. 1991 wurde Burmeister Teilhaber und 1997 neben Ekke Fetköter gleichberechtigter Partner. Um 2000 waren nur noch sieben Mitarbeiter im Geschäft tätig, aber man schaffte es dennoch, jährlich eine Satzpreisliste und einen Katalog mit Briefmarken-Raritäten in einer Auflage von 5.000 Exemplaren per Post zu verbreiten. Dennoch sanken die Umsatz- und Mitarbeiterzahlen. 2002 übernahm Burmeister von Fetköter alle Geschäftsanteile. 2015 war nur noch ein höherer sechsstelliger Umsatz zu verzeichnen, den nunmehr verbliebene sechs Mitarbeiter, davon drei auf 400 Euro-Basis, zu bewältigen hatten.

Man verlor aber nicht den Mut, trotz aller auch von anderer Seite bewirkten Probleme. Als Burmeister 1981 seine Tätigkeit begann, war das Geschäft noch in der Spitaler Straße. 1989 erzwang der Expansionswille eines großen Schuhhauses den Umzug in die Paulstraße 6 und 2003 musste es dem Neubau der Europa-Passage weichen und in die Rosenstraße umziehen, wo es dann am 14. März 2003 das Ladengeschäft neu eröffnete.

„Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“, mag man vielleicht sagen. Aber es waren schon Erschütterungen, die das Unternehmen hart trafen und, wie man sich denken kann, auch mit hohen finanziellen Aufwendungen verbunden waren. In einem waren Fetköter und Burmeister sich gleich: Beide pflegten die Tradition des Hauses – und dies bis heute. Nicht nur in einem – aus Sicht des Autors – phantastisch reichhaltigen Firmenarchiv, sondern auch mit Festschriften zu runden Jubiläen, in denen sie die Leistungen ihrer Vorgänger deutlich zum Ausdruck brachten. Hut ab!, kann man dazu nur sagen und wünschen, dass auch nach 130 Jahren die Firma weiter auf Kurs bleibt.

Katalog der 4. Sellschopp-Auktion im Dezember 1892 in San Francisco. Das Angebot der Auktion wurde zur Vorbesichtigung in New York von Sellschopps Freund R. F. Albrecht präsentiert. Vorlage: WM-Archiv

Neuer Wein in alten Schläuchen? Die Wilhelm Sellschopp Auktionen GmbH

Am 24. Dezember 2020 flatterte vielen Kunden des Hauses eine überraschende Nachricht ins Haus, in der es hieß:

„Die Firma Wilhelm Sellschopp gibt es seit 1891. Bereits im Jahr darauf führte sie in den USA die ersten Auktionen durch. Damals war Wilhelm Sellschopp ein Pionier der Branche. Heute greift die Wilhelm Sellschopp GmbH, die auf eine 130-jährige Tradition im Briefmarkenhandel zurückblickt, diesen Pioniergeist wieder auf und hat gemeinsam mit Till Neumann die Wilhelm Sellschopp Auktionen GmbH gegründet. Ab dem Jubiläumsjahr 2021 wird dieses Auktionshaus anspruchsvolle Versteigerungen in Hamburg veranstalten.

Einlieferungen für unsere kommende Auktion Ende April 2021 nehmen wir noch bis Anfang Februar entgegen. Nehmen Sie gerne und unverbindlich Kontakt mit uns auf.

Besuche in unseren neuen zusätzlichen Räumlichkeiten ‚Neuer Wall 10‘, im Herzen der Hansestadt Hamburg, bitte unbedingt vorher absprechen.

Mit allen guten Wünschen verbleiben,

Till Neumann, Klaus Burmeister, Katharina Schäfer, Oliver Weigel (philatelistischer Berater).“

 

Für Leser der Zeitschrift „philatelie“ war die Nachricht nicht ganz so neu, hatte doch die Firma bereits mit ganzseitigen Anzeigen auf das Vorhaben aufmerksam gemacht. Geschäftsführender Gesellschafter ist Till Neumann, weithin als Kenner und Händler klassischer Philatelie bekannt. Klaus Burmeister, ebenfalls Gesellschafter, bringt sein Know-How und besonders seine gewachsenen Kontakte mit ein und mit Oliver Weigel, ehemaliger Gesellschafter und Auktionator bei „Schwanke Briefmarkenauktionen“, steht dem Vorhaben ein weiterer versierter Philatelist mit jahrzehntelanger Erfahrung zur Verfügung.

Manche mochten den Verweis auf die Tradition des Hauses und auf Wilhelm Sellschopp, der bereits 1892 als erster Deutscher überhaupt erste Auktionen – allerdings in San Francisco – durchführte, missverstehen. So als ob sich das neu gegründete Unternehmen als ältestes Auktionshaus Deutschlands bezeichnen würde. Dies ist nicht der Fall. Das älteste noch existente deutsche philatelistische Auktionshaus in Deutschland ist und bleibt die Firma Heinrich Köhler in Wiesbaden. Da beißt der Katze keiner den Schwanz ab! ABER: Der erste deutsche Auktionator war eben nicht Heinrich Köhler (Auktionen ab 1913) oder Philipp Kosack mit seinem Partner de Vries (Auktionen 1900/1904), sondern Wilhelm Sellschopp! Er führte damals in Kalifornien insgesamt sieben Versteigerungen durch, wobei die erste am am 19. März 1892 und die letzte am 9.–10. Mai 1894 stattfanden.

Über diese Auktionen schrieb Wilhelm Sellschopp später (1900), dass einige sehr bedeutend gewesen seien, zumal die erste, welche außerdem die erste gewesen sei, die überhaupt in San Francisco stattfand. Zahllose Reporter der Presse seien anwesend gewesen und am Folgetag hätte die Auktion für Schlagzeilen in der Presse gesorgt. Aber die relativ isolierte geografische Situation der Stadt hätte die Versteigerungen nicht gefördert, sie wurden nicht populär. Da man zudem ab 1894 große Sammlungen erwerben konnte, habe man das Auktionsgeschäft dem Osten überlassen.

Zwischen den Zeilen Sellschopps liest man auch einen weiteren Grund für die Aufgabe dieser Versteigerungen heraus: Die damit verbundene Arbeitsüberlastung, was ja auch knapp zehn Jahre später für Philipp Kosack der Grund war, sich aus diesem Zusatzgeschäft zurückzuziehen. Immerhin gab Sellschopp seit 1892 – und dies bis 1901 – noch eine monatlich erscheinende Fachzeitschrift („Filatelic Facts and Fallacies“ – <Philatelistische Tatsachen und Irrtümer>) heraus und war wirklich ein Hans-Dampf in allen Gassen.

Zumindest an diese kurze frühere und längst vergangene Versteigerungstradition knüpft das Unternehmen heute wieder indirekt mit ihrem Neustart an. Übrigens: Wenn Sellschopp damals derartige Aktivitäten „dem Osten“ überließ, meinte er damit New York, und ganz speziell seinen Freund R. F. Albrecht aus Leipzig, später Berlin. Albrecht, ursprünglich Buchhändler, war wie er in die USA ausgewandert und hatte sich in New York erfolgreich als Briefmarkenhändler etabliert. Er war übrigens der zweite Deutsche, der eigenständige Auktionen ab dem 14. April 1892, also nur knapp einen Monat nach Sellschopp, durchführte, insgesamt bis 1898 immerhin 21 an der Zahl, davon die ersten vier zusammen mit Constantin Witt.

Ein bekannter Name – ein neues Spiel

Till Neumann, der Mehrheitsgesellschafter des neu angekündigten Unternehmens, ist wahrlich kein Unbekannter. Dennoch sei es erlaubt, auch ihn kurz zu porträtieren. Geboren wurde er am 15. Juni 1972 in Wehrda bei Marburg. Er besuchte in Bremen ein Gymnasium, dessen Ausbildung er 1991 mit dem Abitur abschloss. Danach begann er mit einem Jurastudium in Marburg für ein Semester, studierte später (1993) noch einundeinhalb Semester in München Kunstgeschichte und Philosophie, entschied sich aber bereits zum 1. Januar 1992 einen Briefmarkenhandel als Gewerbe anzumelden. Inspiriert gerade dazu hatte ihn ein Taschenbuch mit dem Titel „Geld verdienen mit Briefmarken“, das er heute noch besitzt. Zeitweise in Hannover wohnhaft, ging er dann 1998 endgültig nach Bremen, wo er seitdem mit seinem Handel sesshaft wurde. Beim Umzug half Freund Harald Rauhut kräftig mit.

Till Neumann. Vorlage: privat

Diese Sammler-/Händlerkarriere hatte also recht früh begonnen, war aber auch familiär vorgegeprägt: Bereits zum siebten Geburtstag erhielt Neumann von seinem Vater ein Vordruckalbum der Marke Schaubek geschenkt. Zudem gab es da noch einen alten Familienschatz, ein Schwaneberger-Album, in dem ein Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Rathgen aus Berlin (geb. am 2. Juni 1862 in Eckernförde, gest. am 19. November 1942 in Berlin), seine Markensammlung angelegt hatte. Dieser Rathgen, Direktor des Chemischen Labors der Königlichen Museen zu Berlin (das heutige Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin), der sich mit Alters- und Erhaltungsuntersuchungen musealer archäologischer Funde zu Lebzeiten bereits einen großen Namen gemacht hatte, war Neumanns Ur-Urgroßvater! Sein Großvater war Bernhard Ludwig Neumann-Neander (1913–1963), einer der Mitbegründer des „Briefmarken Spiegel“ 1961.

Der „bazillus philatelicus“ war also in ihm schon früh geweckt. Mit 12 Jahren traf er auf einem Flohmarkt einen Briefmarkenhändler. Der hatte die Marken, die in dem Familienalbum noch fehlten und die er für ein paar Mark kaufen konnte. Neumann verkaufte die Marken an seinen Vater und aus diesem kleinen innerfamiliären Handel wurde Routine. Denn der Flohmarkthändler hatte durchaus Sinn für Klassisches, brachte ihm viel bei und weckte damit Tills Interesse für klassische Marken, die dieser wiederum bei ihm ein- und an seinen Vater verkaufte. Bis der die Reißleine zog und ihm sagte: „Schön und gut, aber Du musst Dir nun langsam andere Kunden suchen!“ Da war Till Neumann 14 Jahre. Er meldete mit Unterstützung des Vaters ein erstes Gewerbe an und lernte Buchhaltung. Letzterer bürgte auch für einen nötigen Dispo-Kredit und Till Neumann versuchte alsbald erste neue Kunden zu finden.

Ab 1986 besuchte er erste Auktionen und bildete sich mehr und mehr philatelistisch fort. Während eines Auktionsbesuch in Hamburg lernte er Hans-Joachim Schwanke kennen, 1988 Harald Rauhut, ein Jahr später war er erstmalig bei einer Kruschel-Auktion, wo er auf Hartmut Flöter traf und auch die letzte Boker-Auktion verpasste er nicht. Dem Beispiel Walter Kruschels folgend entschied er sich dafür, Raritätenhändler zu werden, baute notwendige Kundenkontakte auf und 1999 trat er erstmals mit einem sehenswerten Verkaufsangebot in Katalogform zur IBRA 99 hervor. 2001 folgte seine erste Auktion, 2003 und 2009 zwei weitere. In erster Linie ist er aber als Berater international bedeutender Kunden tätig. Sein Geschäft ist die Kombination des mittlerweile längst erfahrenen Experten (seit 1997 ist er Mitglied des Bundes Philatelistischer Prüfer) mit dem Geschäft eines Consultant.

Man darf ihm sicherlich – angesichts solch einer Karriere – zutrauen, dass er sein Metier beherrscht und gut einzuschätzen weiß. Was den Autor allerdings völlig überraschte, als er zwecks Recherche zu einem Buch Neumanns Büros erstmals in bester Bremer Lage an der Weser aufsuchte, war die umfangreiche, geradezu riesige Fachbibliothek, die er bei einem Briefmarkenhändler nicht vermutet hätte. Keine Präsenz- oder gar protzige Vorzeige-Statusbibliothek, sondern eine, mit der gearbeitet wird, die genutzt wird. Kompetenz hat eben auch viel mit Können, in diesem Fall mit Lesen können, zu tun.

130 Jahre nach Gründung der Firma in San Francisco sprießen also wieder neue Zweige, die hoffnungsvolle Neuansätze sind und alten Vorbildern folgen. Man kann nur Glück dazu wünschen!