130 Jahre Wilhelm Sellschopp (1): Ein Wanderer zwischen zwei Welten

(wm) Wer des längeren mit Briefmarken und Philatelie vertraut ist, dem ist der Name Wilhelm Sellschopp in Hamburg sicherlich eine bekannte Größe. Mit diesem Namen ist die wohl zweitälteste Briefmarken-Handelsfirma Deutschlands verbunden, das ihren Anfang sogar auf das Jahr 1891 zurückführen kann und bis heute mit gleichem Namen firmiert. Sellschopps Geburtsdatum vom 13. Oktober 1862 führt in die Pionierzeit der deutschen Philatelie, in der der als Sohn des Gutsbesitzers August Friedrich Wilhelm Sellschopp in Schwiggerow in Mecklenburg geborene noch – aus heutiger Sicht – ideale Verhältnisse vorfand. Schon als Kind interessierte er sich für Briefmarken und gehörte zu dieser Zeit zu den vielen Jugendlichen, die sich für diese neue Mode begeistern konnten. Und ebenso wie viele andere stöberte er auf Dachböden und in Familienkorrespondenzen, fand so manches aus heutiger Sicht höchst wertvolle altdeutsche Stück, um es dann gegen Marken aus der weiten ihm unbekannten Welt im Stücktausch (!) einzuwechseln.

 

Wilhelm Sellschopp trat bereits 1880 dem neu gegründeten Verein für Freunde der Briefmarkenkunde zu Lübeck bei. Vorlage: Sellschopp-Archiv

Seinem alten Herrn gegenüber wusste er schon bald zu berichten, wie er sich sein Leben vorstellen könnte: er wollte Briefmarkenhändler werden! Das war Wilhelm Sellschopp gerade einmal 18 Jahre alt! Wilhelm Sellschopp war es ernst. Doch mit solch neumodischem Schnickschnack hatte es sein Vater, ein bodenständiger Gutsbesitzer, nun wirklich nicht. Erst einmal sollte der Sohn etwas Nützliches lernen. Kaufmann solle er werden, und so kam Wilhelm in die Lehre nach Lübeck. Kaum war diese vorbei, brach bei ihm die Reiselust durch. Er wollte das sehen, was er auf Briefmarken entdeckt hatte. Und so brach er Ende der 1880er-Jahre auf, um wie viele seiner Generation sein Glück in den Staaten Nordamerikas zu versuchen. Der Vater war weit weg und nach einigen harten Anfangsjahren gründete er in San Francisco am 4. Februar 1891, also vor 130 Jahren, sein erstes Briefmarkengeschäft. Es wurde recht bald zu einer angesehenen wohl beleumundeten Adresse, wofür er mit seiner von Zeitgenossen als vornehm, kenntnisreich, bescheiden und lauter geschilderten Persönlichkeit stand. Ein Bericht über den Philatelistentag in Mannheim im Jahre 1895 führte ihn – neben einer Reihe heute ebenfalls wohl bekannter Namen früher Philatelisten – mit Sitzangabe in San Francisco als „Matador der Philatelie“ auf.

Schon 1900 sah ihn Hamburg — nach einem kurzen Umweg über Rostock im Vorjahre — wieder. Hier eröffnete er am 4. Februar 1901 eine Filiale im „Artushof“ (Große Bleichen 19), also an guter Adresse, währenddessen das Geschäft in San Francisco weiterlief. Kurze Zeit später findet man seine Geschäftsangebote in deutschen Fachzeitschriften, er selbst engagierte sich in der Philatelie, nahm weiter an Philatelistentagen teil und pflegte den Kontakt zu prominenten Zeitgenossen.

Ein Einschnitt bewirkte das verheerende Erdbeben in San Francisco am 18. April 1906, dem auch ein großer Teil seines Geschäftes zum Opfer fiel. Zwar kann er noch große Bestände seines umfangreichen Lagers retten, aber nun blieb er endgültig in der Heimat und baute das Geschäft hier aus. Schon am 1. August 1910 bezog er neue, größere Räumlichkeiten in der Spitalerstraße 11 („Barkhof“), in denen für 79 Jahre Philatelisten aus aller Welt fachkundig bedient wurden. Er selbst erlebte diesen Erfolg nur zum Teil mit, denn er verstarb am 7. Juni 1938 nach längerem, mit großer Geduld ertragenen Leiden an den Folgen einer inneren Krankheit. Dennoch war er bis zu seinen letzten Lebenswochen noch aktiv selbst im Geschäft tätig!

 


Ein Blick in das Fachgeschäft von Wilhelm Sellschopp in San Francisco. Vorlage: Sellschopp-Archiv

 

Sein Erbe und Vermächtnis hatte damals längst sein Sohn Rudolf übernommen. Geboren am 16. September 1903 in Hamburg-Eilbek trat dieser 1923 in das Geschäft seines Vaters ein. Rudolf Sellschopp war angeblich kein Musterknabe in der Schule, er fühlte sich eher den Briefmarken hingezogen, was ja schon bei seinem Vater Jahrzehnte vorher der Fall gewesen war. Er besuchte das am 27. April 1914 neu gegründete Kirchenpauer-Realgymnasium und blieb sogar einmal hängen. Aber das Einjährige schaffte er noch so gerade. Der Vater ließ ihn danach ebenfalls eine kaufmännische Ausbildung absolvieren, wie er sie selbst durchlaufen hatte: allerdings nicht in seinem eigenen Geschäft, sondern in einer großen Import/Exportfirma. Diese Firma ging in der Inflation in Konkurs, so dass Rudolf 1923 ins väterliche Unternehmen kam. Allerdings schickte ihn der Vater erst einmal auf Reisen nach Übersee, „damit er sich den Wind um die Nase wehen lassen konnte.“

1926 betrieb er mit dem Kapital des Vaters in Brasilien sogar eine eigene Briefmarkenhandlung. Das Geschäft ging recht wechselhaft, so dass er sich eines Tages auch als Arbeiter bei der großen amerikanischen Firma „Light and Power“ verdingte. Das Jahr in Rio de Janeiro und Sâo Paulo ging durch die Kaffeekrise/Weltwirtschaftskrise zu Ende, Rudolf kehrte zurück.

In schwieriges Fahrwasser geriet die Hamburger Firma während des Zweiten Weltkrieges. Den Ersten Weltkrieg hatte das Familienunternehmen noch weitgehend unbeschadet überstanden. Aber einen Tag nach dem 50jährigen Firmenjubiläum, am 5. Februar 1941, wurde Rudolf Sellschopp zur Wehrmacht eingezogen. Ebenso zahlreiche Mitarbeiter/-innen des Unternehmens. Die Weiterführung des Ladengeschäftes war bald nicht mehr möglich, die Schließung folgte. Seiner Frau Ingeborg gelang es, durch den Versand von Nachträgen und ähnlichem die Kontakte zu vielen Kunden aufrecht zu erhalten. Ab 1946 lebte das Geschäft dank Rudolfs Vetter Bernhard Schmaltz, Rudolf Sellschopps Frau Ingeborg und einem kleinen Kreis ehemaliger Mitarbeiter/-innen wieder auf. Erst im März 1948 kehrte Rudolf Sellschopp aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hamburg zurück.

Das Foto zeigt Rudolf Sellschopp (links) – wohl um ca. 1985 in Hamburg – mit dem damaligen LV-Vorsitzenden Dieter Brocks und der Hamburger Justizsenatorin und SPD-Politikerin Eva Leithäuser. Vorlage: Sellschopp-Archiv

Eine Würdigung dieser ersten zwei Firmengenerationen wäre ohne eine Erwähnung ihrer Verdienste für Vereine und Verbände nicht einmal annähernd vollständig. Am 17. Dezember 1880 wurde in Lübeck der „Verein für Freunde der Briefmarkenkunde“ aus der Taufe gehoben. Wilhelm Sellschopp war mit dabei. Am 21. August 1883 wurde er Mitglied im „Internationalen Philatelisten-Verein zu Dresden“, für den er in den 1880er-Jahren eine Zeitlang als Leiter des Rundsende-/Tauschdienstes ehrenamtlich arbeitete. Später engagierte er sich auch in Hamburger Philatelie-Vereinen, aber auch für den Bund Deutscher Briefmarkenhändler-Vereine als dessen Vorsitzender von Ende 1923 bis 1934.

Die Mitglieder des Hamburger Händlerverbandes stellt sich 1924 mit ihrem neuen Vorsitzenden Wilhelm Sellschopp (Mitte der ersten Reihe) dem Fotografen.

 

Vergleichbar aktiv wurde sein Sohn Rudolf. Über ihn schrieb Otto von Krakau 1973: „Persönlich kennen wir Rudolf Sellschopp als stets agilen und für die Sache der Berufsphilatelie aufgeschlossenen Kollegen, der auf Versammlungen und Börsen in seiner nasalen hamburgischen Tonart kräftig, ja auch kräftig polternd mitredet. Bemerkenswert war seine Entschiedenheit, mit der er das Ruder herumreißen konnte, als in den Jahren der Rezession 1965/66 eine Depression der Tagespreise einsetzte. Er war der erste, der mit einer neuen Liste die Wertungen herabsetzte. Er machte sich frei von der Version, daß nur steigende Tendenz der Notierungen die Sammlerlust immer wieder anheizen könnte und fand den Mut zu neuen niedrigeren Notierungen ….“ (APHV-NBl., Nr. 10/73, S. 54–60)

Rudolf Sellschopp starb am 2. Juli 1992 nach kurzer, schwerer Krankheit. Da hatte er längst sein Feld bestellt, wie noch zu zeigen ist.

 

Rudolf Sellschopp, wie er 1966 in der Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Unternehmens abgebildet wurde. Damals war er gut 62 Jahre alt.