England 1840: Die früheste Verwendung eines Postwertzeichens in Deutschland

K1024_Mulready_VS(cw/wm – Fortsetzung) Los 20 400 der 38. Gärtner-Auktion vom 16.–20. Oktober 2017 beinhaltet nur vier Belege. Aber bereits der Ausrufpreis von 90 000 Euro verdeutlicht, dass es sich um ganz besondere handeln muss, die eine einzelne Würdigung verdient haben, zumal sie postgeschichtlich einmalig sind. Nachfolgend stellen wir den zweiten Beleg vor.

Großbritannien: 1840, Mulready-Umschlag One Penny, vom 2. Gültigkeitstag, dem 07. Mai 1840, mit Aufgabestempel des Londoner Stadtteils „Muswell Hill“ adressiert nach Leipzig, Sachsen, mit rückseitig herrlich klarem Stempel der Leipziger Stadtpost vom „14. Mai“ (1840) vom Bestellpostgang „8-10“ (Uhr).

Unter voller Anrechnung des 1d Mulready-Franko ergab sich mit vorderseitig notierter Barfrankatur von 1 Sh./7 P. ein Teilfranko von 1 Shilling und 8 Pence für die Strecke von London bis Cuxhafen. Vom Empfänger in Leipzig (dem britischen Vizekonsul Herman B. Smith!) wurde ein vorderseitig in rot notiertes Porto von 9 ½ Groschen für die Strecke ab Cuxhafen erhoben. Es handelt sich bei dem Beleg um den frühesten Postwertzeichen-Umschlag („envelope“) und die zweitfrüheste Verwendung eines britischen Postwertzeichens nach dem Ausland! Nur ein Mulready-Briefbogen („lettersheet“) ist bereits vom 06. Mai 1840 nach Rom verwendet bekannt. Die frühesten Markenverwendungen ins Ausland stammen sogar erst vom 08. Mai (One Penny) bzw. 09. Mai (Two Pence). Somit handelt es sich auch um die früheste Verwendung eines Postwertzeichen in Deutschland. Interessanterweise sind Postwerteichen-Belege ins British Empire erst ab 09. Mai 1840 bekannt!

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Das herausragende Stück wurde bereits 2005 von Wolfgang Maaßen in „Philatelie und Postgeschichte Nr. 258, S. 29ff ausführlich beschrieben (sowie nochmals in dem Standardwerk von W. Maaßen „Philatelie und Vereine im 19. Jahrhundert“, Verlag der Phil*Creativ GmbH, Schwalmtal 2006), u.a.: „Damit ist dieser Beleg, soweit heute bekannt, das erste Postwertzeichen, das in Deutschland Verwendung fand, damit also die Geburtsstunde der (späteren) Philatelie einläutete!“  Dieses Stück ist neben seiner überragenden postgeschichtlichen Bedeutung auch noch in zwei anderen Aspekten interessant.

1) Neben den Briefmarken zu einem Penny (der „Black Penny“) und zu zwei Pence (erst eine Woche nach der Black Penny ausgegeben) erschienen auch sogenannte Ganzsachen,- Briefumschläge zu einem Penny und zu zwei Pence, sowie in denselben Wertstufen Briefbögen, welche gefaltet die gleiche Frontansicht wie die Umschläge aufwiesen. Die Verwendung von Umschlägen war für das Publikum relativ neu, da sich jahrhundertelang das Briefporto u.a. an der Anzahl der Briefbögen festgemacht hatte. Die Absenderin verwendete den neu erschienen Umschlag nicht als Umschlag, sondern als Briefbogen, indem sie den aufgefalteten Umschlag innen mit dem Brieftext beschriftete.

2) Die Öffentlichkeit war bei Erscheinen der ersten Briefumschläge und Briefbögen, welche von dem bekannten britischen Künstler William Mulready entworfen wurden, vom Design überhaupt nicht zufrieden. Es sind von den frühen Verwendungen dieser Stücke viele im Textinhalt mit spöttischen, abschätzigen oder entrüsteten Kommentaren zum Erscheinungsbild dieser Postwertzeichen bekannt. Die Absenderin des vorliegenden Beleges ist da aber offensichtlich ganz anderer Ansicht. Sie schreibt (übersetzt): „Ich schicke Dir diesen neuen Umschlag und denke, dass Dir das schöne Mulready-Design gefallen wird.“ Auch dies ist eine Seltenheit,- auf amüsante Weise: Endlich eine Person der damaligen Zeit, die sich nicht kritisch sondern wohlwollend zum Aussehen der Mulready-Umschläge und –Briefbögen äußert.

Aus der Sammlung des bekannten Altdeutschlandsammlers und Experten Dietrich Bolte. Dieser wird im o.g. Artikel von W. Maaßen hinsichtlich der ursprünglichen Preisvorstellung der englischen Handelsfirma beim seinerzeitigen Erwerb wie folgt zitiert: „Man hätte auch eine kleine Eigentumswohnung dafür kaufen können!