Briefmarkenhaus Hermann E. Sieger wird nach 101 Jahren liquidiert!

(wm-pcp) Insider horchten bereits auf, als die Vorwerbung des Auktionshauses Heinrich Köhler in Wiesbaden vor wenigen Tagen u.a. den Verkauf der Luftpost- und Zeppelin-Sammlung der Familie Sieger aus Lorch inserierte. Diese Aerophilatelie-Kollektion war repräsentativ für die „Marke Sieger“, die seit den 1930er-Jahren weltweit bekannt wurde. Hermann Ernst Sieger wie auch sein Sohn Hermann Walter Sieger waren legendäre Fachprüfer auf diesem Gebiet und letzterer führte die Lorcher Firma in den 1970er-Jahren zur Weltspitze. In jener Zeit soll sie mit ihren Abo-Modellen und dem weltweiten Neuheitenbezug, um nur einige Geschäftssegmente zu nennen, bis 60 Millionen DM umgesetzt haben. Aber im 21. Jahrhundert ging es zuerst langsam, dann immer stärker bergab. Neukunden zu werben war aufgrund nicht mehr zugänglicher Werbemöglichkeiten bei der Deutschen Post immer schwieriger, gleichzeitig starben alte Kunden mehr und mehr hinweg. Und dann kam noch Corona und das Internet! Und nun die Liquidation (siehe: https://www.briefmarken-sieger.de/impressum/)

All dies schilderte Günther H. Sieger unlängst in einem auf der Internetseite des Bundesanzeigers veröffentlichten Bericht, den wir anschließend im Wortlaut wieder geben.

Hermann E. Sieger GmbH Lorch
Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020

Lagebericht
Lage des Unternehmens und Abkehr vom Rechnungslegungsgrundsatz der Fortführung der Unternehmenstätigkeit
Die Firma Hermann E. Sieger GmbH betreibt seit 101 Jahren Deutschlands größtes Spezialversandhaus für Briefmarken und philatelistische Bedarfsartikel, Münzen und Zubehör. Unsere Absatzmärkte befinden sich in Deutschland, Österreich, der Schweiz sowie dem angrenzenden deutschsprachigen Raum wie Südtirol, den Niederlanden oder dem Elsass. Der Verkauf erfolgte immer auf Basis unseres bewährten Neuheitensystems für Briefmarken und Münzen. Dazu kommen unsere regelmäßig erscheinenden Kataloge (Siegerpost), früher mit einem Umfang von bis zu 120 Seiten, heute mit maximal 32 Seiten und unser laufend aktualisiertes Internetportal. Leider hat sich der Briefmarkenmarkt in den letzten Jahren nicht wie erhofft stabilisiert, sondern ist stetig zurückgegangen.

Ein großer Dämpfer erfolgte während der Corona-Krise. Anfangs gab es zwar gewisse Umsatzzuwächse, die allerdings aber nur von kurzfristiger Dauer waren. Diese Zeit hat die Firma Hermann E. Sieger GmbH durch eine fast 1,5 Jahre dauernde Kurzarbeitsphase überleben können. Die Überalterung unserer Kundschaft, die neuen Medien und die damit verbundene Tatsache, dass sich junge Leute heute kaum noch für Briefmarken begeistern lassen, hat die Situation in den vergangenen Jahren immer schwieriger gemacht. Die zwischenzeitlich gestiegene Inflation und die Rezession Anfang 2020 mit einer extremen Kaufzurückhaltung des Mittelstands hat unser Geschäftsmodell zunehmend und nachhaltig beeinträchtigt.

Von der Gesellschafterversammlung wurde daher am 29.08.2023 beschlossen, die Geschäftstätigkeit aufgrund der unbefriedigenden Ergebnisentwicklung und weiterhin ungünstiger Zukunftsaussichten bis zum 31.12.2023 einzustellen. Darüber hinaus wurde in der Gesellschafterversammlung am 07.12.2023 die Auflösung der Gesellschaft mit Wirkung zum Ablauf des 31.12.2023 beschlossen. Zum Liquidator wurde Günter Hermann Sieger bestellt. Der Jahresabschluss auf den 31.12.2020 wurde daher unter Abkehr vom Rechnungslegungsgrundsatz der Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufgestellt.

Geschäftsverlauf und -ergebnis
Ausgehend von einem Umsatzrückgang um 22,8 % gegenüber dem Vorjahr bei einem überproportional gestiegenem Materialaufwand wurde im Jahr 2020 ein Rohergebnis in Höhe von TEUR 2.729 erzielt. Bei einem proportional stabilen Personalaufwand wurde das Ergebnis insbesondere durch erhebliche Abschreibungen auf den niedrigeren beizulegenden Wert im Vorratsvermögen mit TEUR 5.054 belastet. Diese Abschreibungen berücksichtigen die Bewertung des Vorratsvermögens unter Abkehr vom Rechnungslegungsgrundsatz der Fortführung der Unternehmenstätigkeit. Der Jahresabschluss auf den 31.12.2020 weist einen Jahresfehlbetrag in Höhe von EUR 5.374.863,09 aus. Unter Berücksichtigung von Entnahmen aus der Kapitalrücklage und von Entnahmen aus (anderen) Gewinnrücklagen wird zum 31.12.2020 ein Bilanzverlust in Höhe von TEUR 5.205 ausgewiesen. Das Eigenkapital der Gesellschaft ist aufgezehrt. In der Bilanz wird ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von TEUR 1.115 aktiviert. Die Liquidität war im Berichtsjahr gegeben, ist inzwischen jedoch deutlich angespannt.

Prognosebericht: Liquidationsverfahren
Durch die zwischenzeitlich eingeleitete Beendigung der Geschäftstätigkeit und die Liquidationsmaßnahmen soll die Gesellschaft ohne Insolvenz beendet werden. Die wesentlichen Gläubiger tragen dieses Vorgehen mit und unterstützen die Gesellschaft mit flankierenden Maßnahmen. In diesem Zusammenhang hat der Alleingesellschafter am 31.08.2023 auf 5 Darlehen im Gesamtwert von rund TEUR 609 verzichtet. Weitere Darlehensgläubiger haben am 31.08.2023 Rangrücktritte für Darlehen im Gesamtwert von TEUR 1.116 gewährt.

Die Liquidation der wesentlichen Vermögenswerte ist wie folgt geplant: 1. Warenlager: Der Verkauf wird über ein renommiertes Briefmarken-Auktionshaus in Deutschland und der Schweiz (für internationale Bieter) abgewickelt. 2. Kundenstamm mit Abonnenten, den Einzelkäufern und dem Online-Shop: Hier laufen gerade Verhandlungen – mit einem größeren Mitbewerber – die zum Zeitpunkt, zu dem der Lagebericht verfasst wurde, aber noch nicht vollständig abgeschlossen sind. Wir rechnen damit, dass unsere Kunden bereits im neuen Jahr von der neuen Firma beliefert werden. Zum gleichen Zeitpunkt beginnt dann der Abverkauf jener Waren, die nicht über das Auktionshaus verkauft werden können – natürlich wie in solchen Fällen üblich, mit erheblichen Rabatten und Nachlässen. 3. Immobilien der Hermann E. Sieger GmbH: Deren Veräußerung haben wir in die Hände der Immobilienabteilung unserer Hausbank, der Volksbank Stuttgart gelegt. Erstes Projekt, welches bereits jetzt offeriert wird, ist unser ehemaliges Druckereigebäude in der Hohenstaufenstrasse, im Lorcher Industriegebiet Ost.Aktuell gehen wir davon aus, dass bei diesen Vermögenswerten Veräußerungserlöse entstehen, welche die bilanzierten Buchwerte erreichen. Insofern sehen wir gute Chancen, die Liquidation erfolgreich abschließen zu können.

Als Risiko der künftigen Entwicklung besteht jedoch auch die Gefahr, dass die Gesellschaft die Liquidation nicht erfolgreich abschließen kann und Insolvenz beantragt werden muss. Aktuell schätzen wir dieses Risiko aufgrund der eingeleiteten Maßnahmen und der Bereitschaft des Gesellschafters zu unterstützenden Maßnahmen als gering ein. Der Zeitraum, in dem das komplette Vermögen liquidiert wird, dürfte sich bis zum Herbst 2024 erstrecken – abhängig natürlich, wie schnell die Immobilien veräußert werden können. Der Auktionsverkauf erfolgt über zwei größere Spezialauktionen, eine davon im März und die zweite im September 2024. Die Außenstände und Bankverbindlichkeiten denken wir in monatlichen Schritten, bis spätestens März 2024 beglichen zu haben, wobei wir bereits zum Jahresende unsere Außenstände reduzieren konnten. Mit der Liquidation endet eine lange und viele Jahre auch erfolgreiche Firmentradition. Unser Dank geht an alle Mitarbeiter, Geschäftspartner und Kunden, welche uns stets treu begleitet haben.

Lorch, den 12. Dezember 2023
Liquidator Günter Hermann Sieger

Quelle: www.bundesanzeiger.de